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Flutwellen und Stromstöße - Electric Dragon vs. Eureka

(1483 Wörter)
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Flutwellen und Stromstöße

Electric Dragon vs. Eureka: Zwei japanische Filme suchen nach einer posttraumatischen Filmsprache

von Volker Hummel

"Trauma: Ereignis im Leben des Subjekts, das definiert wird durch seine Intensität, die Unfähigkeit des Subjekts, adäquat darauf zu antworten, die Erschütterung und die dauerhaften pathogenen Wirkungen, die es in der psychischen Organisation hervorruft."

aus: J. Laplanche/J.-B. Pontalis: "Das Vokabular der Psychoanalyse"

Begreift man die Anschläge vom 11. September als traumatisches Ereignis, dann legt die Definition des Wörterbuchs die Vermutung nahe, dass es sich bei dem Krieg in Afghanistan um seine pathogene Wirkung handelt. Ein inadäquater Versuch einer unfähigen Regierung, die psychische Organisation ihres Landes wiederherzustellen. Doch die Psychoanalyse vom einzelnen Subjekt auf ganze Nationen zu übertragen, ist ein gefährliches Unterfangen. Zwischen der tatsächlichen psychischen Verfassung der Überlebenden des Anschlags und der militärischen Realpolitik der USA gibt es keine verifizierbaren Zusammenhänge. Im Gegenteil: Häufig hört man, dass traumatisierte Opfer keineswegs auf direkte Rache sinnen, sondern eine tiefe Abneigung gegen jede Form von Gewalt entwickeln.

Was der Begriff des Traumas zum Ausdruck bringt, ist gerade die Unmöglichkeit eines sofortigen Handelns, dass die gestörte Ordnung wiederherstellt. Es gibt kein Gegen-Ereignis, dass alles wieder ins Lot zurückbringen kann. Vielleicht war das auch der eigentliche Grund für die nur ein paar Monate währende Repräsentationskrise des Actionfilms à la Hollywood. Der Grund, warum Filme wie der erst kürzlich angelaufene "Collateral Damage" einer "Anstandszensur" zum Opfer fielen und für unzumutbar gehalten wurden, ist vielleicht gerade nicht ihre Nähe zur Realität, sondern die offenbar gewordene Naivität ihrer Grundprämisse: dass sich böser Terror in kurzer Zeit von einem Helden á la Schwarzenegger durch guten Terror aus der Welt schaffen lässt. Und die scheint jetzt wieder hoffähig zu sein.

Dass es auch einen anderen Umgang mit Tod und Trauma geben kann, zeigen derzeit eindrucksvoll zwei japanische Filme, Sogo Ishiis "Electric Dragon 80.000 Volt" und Aoyama Shinjis "Eureka". Auf den ersten Blick scheinen beide Werke vollkommen unterschiedlich zu sein. Während Shinjis dreieinhalbstündiger Film mit langen Einstellungen, in ruhigem Rhythmus und in einem ländlichen Setting von einem spirituellen Neuaufbruch erzählt, braucht Ishii für seinen in einem hypermodernen Tokio angesiedelten visuellen und akustischen Overkill nur 55 Minuten. Gemeinsam ist beiden Werken jedoch ihr Bezug auf ein traumatisches Ereignis, dass nicht nur das Handeln der Figuren, sondern in jeweils unterschiedlicher Weise Rhythmus und Ästhetik bestimmt. Beide Regisseure entwerfen, einmal in extremer Langsamkeit, einmal in kaum zu überbietender Kinetik, posttraumatische Landschaften, in denen sich ihre aus dem sozialen Gefüge herausgesprengten Figuren bewegen.


Eureka


In Umkehrung herkömmlicher Leinwandprioritäten widmet Regisseur Aoyama Shinji in "Eureka" seine Aufmerksamkeit nicht dem traumatischen Ereignis selbst, einer Busentführung, bei der sechs Menschen sterben, sondern seinen Nachwirkungen auf die Überlebenden, die Geschwister Kozue und Naoki und der Fahrer Makoto. In einem Interview hat Shinji seinen Film auch als Auseinandersetzung mit der Saringas-Attacke auf die Tokioter U-Bahn beschrieben, bei der am 20. März 1995 zwölf Menschen ums Leben kamen. Im Film finden sich keine Hinweise auf dieses konkrete Ereignis, das Busnapping wird vielmehr als unpolitische Gewalttat schlechthin geschildert. Es gibt keine psychologischen Motive, die die Figur des Attentäters erklären, keinen Bezug zu seinen willkürlich gewählten Opfern. Die Gewalt erscheint nicht als erklärbares und letztlich beherrschbares Übel, sondern als eben jenes unerträglich intensive Ereignis, vor dem es keinen Schutz und auf das es keine adäquate Reaktion gibt.

Eureka
Jedenfalls nicht in 90 Minuten. Die entscheidende Differenz zwischen "Eureka" und den Terror-Entsorgungs-Szenarien Hollywoods ist die Zeit. Shinji schildert die Auswirkungen der in der ersten Viertelstunde gezeigten Gewalttat auf Makoto und die Kinder als 200-minütigen Prozess des Rückzugs, des Schweigens und schließlich der Annäherung und des gemeinsamen Aufbruchs. Weder für Makoto, der sich nach einer zweijährigen Abwesenheit seiner Frau und Familie entfremdet hat, noch für die verwaisten Kinder, die einsam in einem großen Haus leben, scheint es einen Weg zurück in die Normalität zu geben. Wie aus ihrem eigenen Dasein herausgefallene Geister wandeln sie durch die sepiagetönte Landschaft der Insel Kyushu. Mit seinem meditativen Erzählrhythmus erzeugt Shinji eine Stimmung posttraumatischer Verunsicherung, für die es kein einfaches Heilmittel gibt.

Erst eine gemeinsame Busreise, an der auch Akihiko teilnimmt, ein Cousin von Kozue und Naoki, schafft vielleicht eine Möglichkeit, ins Leben zurückzukehren. Vor allem Makoto versteht die Reise als eine Form der Wiedergeburt, nicht durch reaktionäre Gewalt, sondern durch die Zurückgewinnung der Verantwortung für das eigene Leben und das anderer. Doch auch andere Reaktionen bleiben im Verlauf des Films stets bedrohlich reizvolle Optionen. Zum einen der endgültige Abschied vom Leben, der Selbstmord, zum anderen die Weitergabe der Gewalt. Diese Option wird durch eine Reihe von Morden an jungen Frauen auf Kyushu versinnbildlicht, über deren Hintergründe Shinji den Zuschauer lange im Dunkeln lässt.

"Bald wird eine Flutwelle kommen und uns alle wegspülen", sagt Kozue gleich zu Beginn des Films. Was dann wenig später über sie hereinbricht, ist keine Naturkatastrophe, sondern jene Form anonymer Gewalt, die sich noch nie an die Spielregeln der so genannten zivilisierten Welt gehalten hat. Denn, und das ist die tief greifende Erkenntnis dieses meisterhaften Films, der Zivilisation haftet immer etwas Nachträgliches an. Sie setzt dort ein, wo sich jemand für das Leben und gegen den Tod entscheidet, auch wenn er die näher liegende Alternative zu sein scheint.


Electric Dragon 80.000V


Wie nahe die Lebenden den Toten sind, davon weiß auch Dragon Eye Morrison seit seiner Kindheit ein Punklied zu singen. Seit der Held von Sogo Ishiis "Electric Dragon" als kleiner Junge auf einem Strommast ein paar Volt zu viel abbekommen hat, schreit sein innerer Drache nach Blut. Eine Jugend voller Elektroschocks schafft keine Abhilfe, erst die ekstatisch gespielte E-Gitarre bringt die innere Reptilie fur kurze Zeit zum Schweigen. Seine telepathische Verbindung mit entlaufenen Eidechsen nutzt Dragon Eye, um sich sein elektromagnetisches Loft irgendwo in Tokio leisten zu können. Doch über den Dächern wartet schon seine 200.000-Volt-Nemesis. Denn auch der Thunderbolt Buddha ist als Kind zu hoch auf einen Strommast geklettert und hat jahrelang auf einen ebenbürtigen Gegner gewartet. Es darf nur einen geben, und es kommt zur epischen Stromschlacht zwischen den Kontrahenten.

Das Tokio, vor dessen elektromagnetisch pulsierender Skyline sich der Kampf der bis zur Halskrause aufgeladenen Wonderboys abspielt, erweckt ebenso den Eindruck einer postapokalyptischen Leere wie Shinjis sepiagetöntes Kyushu. In den Hinterhöfen und auf den Dächern, den marginalen Räumen der Metropolis, in denen sich das Leben der beiden Antagonisten abspielt, ist kaum etwas zu sehen von den Massen, die sich sonst durch die Stadt wälzen. Nicht von Menschen ist dieses magische Reich bevölkert, sondern von elektromagnetischen Pulsen. Diese Vision einer durchtechnisierten, inhumanen Welt verweist durchaus auf gängige Manga-Fantasien, macht jedoch auch ihren traumatischen Hintergrund deutlich. Das "intensive Ereignis im Leben des Subjekts", das in "Electric Dragon" den Riss durchs soziale Gefüge darstellt, ist hier noch abstrakter, unpersönlicher als in "Eureka". Der anfängliche Einschlag des Blitzes kann gerade in seiner surrealen Zeichenhaftigkeit für jedes Ereignis stehen, zum Beispiel als Sinnbild der Atombomben, die nach wie vor als Wunde im japanischen Selbstverständnis wirken. Vor allem bewirkt der traumatische Blitz aber eine zusätzliche körperliche und psychische Energie, für die es im sozialen Schaltkreis kein Relais gibt.



Dragon Eye Morrison

Thunderbolt Buddha


Die Gewalt der Figuren, die in "Eureka" nur angedeutet ist, entwickelt in "Electric Dragon" ihr volles Potenzial. Jedoch nicht, wie in "Stirb langsam" oder "Collateral Damage", zur Wiederherstellung einer gestörten Ordnung, als Backlash gegen klar definierte Feinde. Sondern als reiner akustischer und visueller Exzess , in dem die Ökonomie der Zeichen, mit denen sich die Gesellchaft ihres Selbstbildes versichert, unwiderruflich aufgesprengt wird. Als "Reich der Zeichen" hat schon Roland Barthes Japan bezeichnet. In Sogo Ishiis Film fliegen sie dem Betrachter nur so um die Ohren: kryptische Bezüge zur Drachen-Mythologie, Schriftzeichen, ikonographische Elemente von Superhelden-Comics, Industrial Images à la früher David Lynch, Rock- und Punkposen en masse, Manga-Madness, urban-apokalyptische Visionen und ganz viel Elektrizität.

Der eigentlich Held des Films ist Strom, für dessen ästhetische Inszenierung Ishii ein synergetisches Gesamtkunstwerk geschaffen hat, das den Rahmen von Leinwand und Kinosaal in alle Richtungen aufzusprengen versucht. Vor allem der Punk-Soundtrack, den Ishii mit seiner Band Mach 1.67 selbst eingespielt hat, und die übersteuerten Noise-Attacken aus Dragon Eyes Gitarre zielen auf direkte Freisetzung des in jedem Zuschauer-Stammhirn schlummernden Drachens.

Barthesí Faszination für die fernöstlichen Zeichen, die gerade in ihrem Reichtum und ihrer Hermetik ihren rätselhaft-ästhetischen Reiz entfalten, hat wohl viel mit dem zunehmenden Interesse am japanischen zeitgenössischen Kino zu tun. Dem ewig nur sich selbst und seine schal gewordenen Formeln wiederholendem Hollywoodkino steht hier eine exzessive, Genregrenzen überschreitende und auf unbekannten Codes beruhende Bildsprache gegenüber. "Electric Dragon" ist ein Film, der mit einem nur 55-minütigen Bildergewitter alle Spuren auslöscht, die derzeitige Oscar-Anwärter in letzter Zeit beim Zuschauer hinterlassen haben. Etwaige Traumatisierungen sind nicht ausgeschlossen.

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